ise gropius
(ilse frank)
1897-1983
geboren in wiesbaden
autorin, lektorin
1923
heirat mit walter gropius
1923-1928
im bauhaus kreis
»frau bauhaus«
1934 london
1937 emigration
lincoln – ostküste usa
»die frau an seiner seite«
nach dem tod von gropius wahrt sie sein erbe
gropius house wird
zum museum des
»new england bauhaus«
Bauhausmethodik
Ise Gropius, kein Datum. Courtesy of Historic New England
Der folgende Text ist die auszugsweise Wiedergabe eines Vortrages, den Ise Gropius 1978 vor den »Freunden des Busch-Reisinger und des Fogg Museums« an der Harvard University gehalten hat.
Eingangs muss ich Sie darauf aufmerksam machen, dass ich nicht über den »Internationalen Stil« sprechen werde, diese schreckliche, von zwei Amerikanern, Philip Johnson und Russel Hitchcock, erfundene Fehlbenennung aus der Zeit, nachdem sie in den frühen zwanziger Jahren als junge Männer dos Bauhaus in Dessau besucht hatten. Sie stellten fest, dass die Schule ein Buch von Walter Gropius herausgegeben hatte mit dem Titel »Internationale Architektur«, was etwas völlig anderes als »Internationaler Stil« war und nur internationale Beispiele zeitgenössischer Architektur von Leuten mit den verschiedenartigsten Gestaltungsprinzipien zeigte. Was sie vereinigte, war ein ehrlicher Lösungsansatz für zeitgenössische Bauprobleme ohne Rückgriff auf Stile der Vergangenheit. Das alles wurde von den Amerikanern missverstanden, die triumphierend in die USA zurückkehrten und berichteten, sie hätten einen neuen »Stil« gefunden, der übernommen, kopiert und imitiert werden könne.
Ich selbst war erst vom Jahre 1923 an Zeuge der Laufbahn meines Mannes, aber er begann sein Berufsleben schon 1906. Wenn Sie daran denken, dass er seine Jugend in einer Zeit verbrachte, die die Erfindungen des Automobils, des Telefons, des Radios, des Grammophons, der Röntgengeräte usw. noch nicht kannte, können Sie sich vorstellen, wie schwer es für jemanden aus der jetzigen Generation ist, die Vorstellungswelt, die Motive, die Hindernisse, die Erfolge und Misserfolge einer so fernen Zeit zu verstehen.
Die Existenz dieser beiden Gebäude verschaffte ihm einen großen Ruf, der in Deutschland denn durch den Ausbruch des ersten Weltkrieges völlig verdunkelt wurde. Nachdem er als Soldat vier Jahre in den Gräben der Schlachtfelder in Frankreich zugebracht hatte, schien es ihm undenkbar, einfach dort weiterzumachen, wo er aufgehört hatte. Die langen Jahre des Krieges hatten ihm genug Zeit gegeben, über die zukünftige Entwicklung des Architektenberufs nachzudenken, und er war zu dem Schluss gekommen, dass es nötig sei, eine Schule zu gründen, die den einzelnen von der stereotypen Vorschrift des Lernens von der Vergangenheit befreien und ihn auf den Weg bringen würde, wo kreative Lösungen für die zeitgenössischen Probleme zu finden wären.
Er wollte das Suchen und Finden und nicht das Wieder-Finden betonen.
Als ich 1923, zur Zeit der ersten großen Ausstellung des Bauhauses, durch meine Eheschließung dorthin kam, war ich nach dem ersten Eindruck, den diese enorm unterschiedliche Gruppe kreativer Menschen auf mich machte, völlig eingeschüchtert. Von allen meinen früheren Bindungen abgeschnitten, fand ich mich in einer pulsierenden, aufregenden, neuen Welt, die von Fragen und neugefundenen Antworten überschäumte, wo keiner halbherzig bleiben durfte. Ich war mir nicht sicher, ob ich mich mit einem großen Sprung in den Gesamtgeist hineinstürzen könnte, und so fragte ich meinen zukünftigen Mann, was denn werden solle, wenn er nach einem Jahr von mir enttäuscht sein würde. Schließlich war er vierzig und ich erst sechsundzwanzig und er hatte noch kürzester Bekanntschaft um mich angehalten. Und dann gab er mir die wundervolle, mich auf der Stelle überzeugende Antwort:
»Ich bin gegen Enttäuschung völlig immun, denn ich habe es mir zu eigen gemacht, Menschen oder Situationen nicht danach zu beurteilen, wie sie gegenwärtig sind, sondern nach ihren Entwicklungsmöglichkeiten.«
Diese Haltung inspirierte nicht nur mich, sondern all die jungen Leute, die unter seinen Einfluß gerieten. Und wie sie sich entwickelten! Er machte sich nie Illusionen über das allgemeine Qualifikationsniveau, das Leute zu ihrer Arbeit mitbringen, er wußte aber auch, dass man sie über ihre Begrenzungen hinaus vorantreiben konnte, wenn ihnen eine anregende Atmosphäre, bei der sie kreative Haltungen entwickeln konnten, geboten würde.
Das Bauhaus war ein Kessel voller gegensätzlicher Ansichten und großer interner Kämpfe zwischen den verschiedenen Überzeugungen. Aber das Interessante war, dass Gropius und sein Lehrkörper diese Kämpfe nie erstickten oder die Konflikte dadurch abzukürzen suchten, dass sie der Studentenschaft ihre eigenen Oberzeugungen und Erfahrungen aufdrückten. Es war gegen die Prinzipien der Schule, jungen Leuten abkürzende Wege hin zu Lösungen, die sie nicht selbst gefunden hatten, darzulegen.
Zu jener Zeit hatte die Bauhausgemeinschaft bereits eine Arbeitsmethodik ausgearbeitet, die es jedem ermöglichte, eine eigene Interpretation der anliegenden Probleme zu geben, die aber auf allgemein akzeptierten wissenschaftlichen und materiellen Instruktionen durch die verschiedenen Meister basierte. Man war der Ansicht, Kunst an sich sei nicht lehrbar, es gebe jedoch einen bestimmten Wissensfundus, der weiterreichbar und danach über experimentelles Arbeiten und Studieren individuell oder in der Gemeinschaft entwicklungsfähig sei.
Eine Frage, die mir oft gestellt worden ist, betrifft den Umstand, dass Gropius Künstler der Avantgarde, wie Kandinsky, Klee, Feininger und andere, beschäftigte, wo die Studenten doch in Wirklichkeit zu Handwerkern ausgebildet werden sollten und Entwürfe zu liefern hatten, die industriell in Massenfertigung hergestellt werden konnten.
Natürlich wurden sie in den verschiedenen Werkstätten von erstklassigen handwerklichen Lehrmeistern ausgebildet, und kein Student konnte weiterkommen, wenn er nicht in einem der Gewerke unter Aufsicht der Handwerkskammer, die an die handwerklichen Fertigkeiten die höchsten Maßstäbe anlegte, eine strenge Prüfung bestanden hatte. Viele Schulen, die später die Bauhaus-Ausbildung zu imitieren versuchten, ließen das aus, weil sie entweder dachten, das Erlernen eines Handwerks sei altmodisch, oder weil sie erfuhren, dass es schwer ist, auf diesem Gebiet erfahrene Lehrer zu finden. Aber am Bauhaus war diese Ausbildung das Rückgrat des ganzen Lehrplans: sie führte zu Disziplin und zu verlässlichen Kenntnissen über die Eigenschaften der verschiedenen Materialien, und die Studenten erfuhren zum ersten Mal etwas über dreidimensionale Konstruktion. Gropius wusste aber, dass der Handwerker unter dem Einfluß der wachsenden Industrialisierung das Vertrauen in sein Formgebungsvermögen verloren hatte und ihm nur die Weitergabe von technischen Fertigkeiten und Erfahrungen zugetraut werden konnte.
Das Bauhaus forderte die Studenten andererseits dazu heraus, sich ihrer eigenen Bedürfnisse und ihres eigenen Wunsches nach Form bewusst zu werden, und Gropius meinte deshalb, dass ihr Horizont dadurch erweitert werden müsste, dass sie das Gefühl für die Revolutionierung des Raumes, die in den Künsten und Wissenschaften vor sich gegangen war, vermittelt bekämen. Er brachte sie mit den führenden Exponenten der neuen Haltung zum Raum und zur Form in Berührung, und eben hier, auf diesem Gebiet, finden sich die Namen der Maler, Bildhauer, Grafiker und anderer, zum Beispiel Tänzer, Theaterschauspieler usw.
Ihre Lehre und ihr Beispiel erfüllten die ganze Schule mit einem Geist des Wagemuts und der Entdeckungsfreude.
Gropius war der festen Oberzeugung, dass die visionäre Kraft des Künstlers für die Gesamtheit der menschlichen Anliegen und Bestrebungen von primärer Bedeutung sei. Er war überzeugt, dass jede neue Einsicht, die der Mensch über sich selbst oder das Universum gewinnt, zuerst und vor allem die schöpferische Vorstellungskraft des Künstlers entzündet, noch bevor Wissenschaft und Philosophie diese Einsicht gewinnen.
Eine Versammlung von Individuen mit so starker eigener Ausprägung, deren Anliegen die gemeinsame Ausarbeitung eines neuen visuellen Vokabulars war, musste notwendigerweise zu enormen Kontroversen führen.
Bei seiner eigenen Arbeit ging Gropius gewöhnlich bei einem neuen Entwurf von einer beherrschenden, emotional gestützten Leitidee aus, aber er hatte sich früh dazu gebracht, diese Idee sofort durch die erforderlichen ergänzenden Faktoren abzustützen, die ihre Relevanz aus sozialer, technischer und ästhetischer Sicht sicherten. Es war ihm gleichgültig, aus welchem dieser Bereiche die anfängliche Anregung kam, sofern schließlich nur alle ins Spiel gebracht wurden.
Er beschrieb einmal die wünschenswerte Haltung, mit der man einen neuen Entwurf angehen solle, als die »eines Mannes, der seinen Geist von allen Vorurteilen und unwesentlichen Erwägungen hat befreien können und deshalb in einem Zustand neuer Unschuld angelangt ist, der es ihm gestattet, zum Kern seiner Aufgabe vorzudringen«.
Gropius' Natur war für abstraktes, vom praktischen Experiment losgelöstes spekulatives Denken nicht empfänglich, und alles, was noch Dogma roch, stieß ihn ob. Man hat mich gefragt, ob er ein Idealist oder ein Visionär war: ich glaube, man kann ihn so nennen, wenn man darunter das versteht, was der Bildhauer Lippold mit den Worten beschrieb: „Hab eine Illusion, und erhalte sie dann aufrecht!" Diese erhaltende Kraft war es, die ein Klima schuf, in dem höchst unterschiedlich begabte Menschen atmen, arbeiten und zusammenspielen konnten. Was jetzt als Gropius' „Philosophie" bezeichnet wird, hat sich wie ein Sediment aus einem ständigen, aktiven Lebensprozess abgelagert. Indem er sein Leben auf die einzige Art, wie er es konnte. lebte, wurde es zur Demonstration einer Philosophie, keine abstrakte, spekulative Gedankenkonstruktion. Sein Denken wurzelte im Fühlen, und sein Fühlen wurde durch dos Denken modifiziert; schließlich fügte sich aber alles zur Aktion zusammen.
»Lebe, was du predigst« war sein Motto.
Walter Gropius, Schuhleisten- und Stanzmesserfabrik Fagus, 1911. Backstein, Glas, Eisen. Aus dem Bauhausbuch 01 »Internationale Architektur«
Zur Erklärung dieser Hände-weg-Politik muss ich erwähnen, dass zum Beispiel die Beratungen des Lehrkörpers – an denen übrigens immer zwei Studentenvertreter teilnahmen – nie über Mehrheitsentscheide zu Beschlüssen kamen. Immer, wenn unversöhnliche Standpunkte fortbestanden, unterließ Gropius den Versuch, den Problemen durch Kompromisse die Spitze zu nehmen, sondern er ließ statt dessen die Meinungen in scharfem Kontrast stehen, und über weiterzuführende Experimente und Diskussionen sollte an ihnen weitergearbeitet werden.
Gropius sah in den sich zwischen den verschiedenen Protagonisten entwickelnden Kontrasten immer eine Quelle der Stimulierung, nicht der Störung.
Er akzeptierte diese Unruhe als natürliche Folge seiner Bemühung, die Existenz von Gruppen zu vereinbaren, die während des vergangenen Jahrhunderts in gänzlich voneinander isolierte Arbeitsgebiete getrieben worden waren und es beim täglichen Aufeinandertreffen verständlicherweise schwer fanden zu kooperieren.
Wenn Ihnen das Bauhaus manchmal als widersprüchlich oder paradox erscheint, bezog es doch gewöhnlich aus dieser Tatsache Kraft.
All dies ist wahrscheinlich am besten in einem Brief von Paul Klee an Gropius ausgedrückt worden. Ich zitiere: »Ich begrüße die Tatsache, dass so verschieden orientierte Kräfte in unserem Bauhaus zusammenarbeiten. Ich billige auch die Konflikte zwischen den Kräften, wenn sich ihre Auswirkungen in den schließlichen Leistungen zeigen. Im allgemeinen gibt es kein Richtig oder Falsch; unsere Arbeit lebt und entwickelt sich im Spiel entgegengesetzter Kräfte. so wie auch in der Natur das Gute und das Böse letztendlich produktiv zusammenwirken.«
Walter Gropius, Dessau , Anhalt. bürohaus und Fabrik auf der Werkbundausstellung Köln, 1914. Eisen, Glas, Kalksandstein.
”
Die von ihm vor dem ersten Weltkrieg geschaffenen Gebäude, die »Fagus« Schuhleisten-Fabrik aus dem Jahre 1911, die Musterfabrik und das Bürogebäude für die Werkbund-Ausstellung in Köln aus dem Jahre 1914, verkörperten deutlich, was er später am Bauhaus lehren sollte: völlige Unabhängigkeit von der zu jener Zeit herrschenden schweren, massigen Gestaltungsweise; eine Bauausführung, die nicht hinter einer konventionellen Stilhülle verborgen wurde, sondern die neuen Materialien, wie Glas, Stahl und Beton, sichtbar bleiben ließ und sie zu den dominierenden Gestaltungsmerkmalen machte. Kurz, er machte den Versuch, sich dem 20. Jahrhundert direkt und ohne Ausflüchte zu stellen.
Quelle: Zweck + Form 1979. SLUB Dresden
”
Eingangs muss ich Sie darauf aufmerksam machen, dass ich nicht über den »Internationalen Stil« sprechen werde, diese schreckliche, von zwei Amerikanern, Philip Johnson und Russel Hitchcock, erfundene Fehlbenennung aus der Zeit, nachdem sie in den frühen zwanziger Jahren als junge Männer das Bauhaus in Dessau besucht hatten.
Sie stellten fest, dass die Schule ein Buch von Walter Gropius herausgegeben hatte mit dem Titel
»Internationale Architektur«, was etwas völlig anderes als »Internationaler Stil« war und nur internationale Beispiele zeitgenössischer Architektur von Leuten mit den verschiedensten Gestaltungsprinzipien zeigte. Was sie vereinigte, war ein ehrlicher Lösungsansatz für zeitgenössische Bauprobleme ohne Rückgriff auf Stile der Vergangenheit.
Das alles wurde von den Amerikanern missverstanden, die triumphierend in die USA zurück-kehrten und berichteten, sie hätten einen neuen Stil gefunden, der übernommen, kopiert und imitiert werden könne.
Ich selbst war erst vom Jahre 1923 an Zeuge der Laufbahn meines Mannes, aber er begann sein Berufsleben schon 1906.
Wenn Sie daran denken, dass er seine Jugend in einer Zeit verbrachte, die die Erfindungen des Automobils, des Telefons, des Radios, des Grammophons, der Röntgengeräte usw. noch nicht kannte, können Sie sich vorstellen, wie schwer es für jemanden aus
der jetzigen Generation ist, die Vorstellungswelt, die Motive, die Hindernisse, die Erfolge und Misserfolge einer so fernen Zeit zu verstehen.
Die Existenz dieser beiden Gebäude verschaffte ihm einen großen Ruf, der in Deutschland denn durch den Ausbruch des ersten Weltkrieges völlig verdunkelt wurde. Nachdem er als Soldat vier Jahre in den Gräben der Schlachtfelder in Frankreich zugebracht hatte, schien es ihm undenkbar, einfach dort weiterzumachen, wo er aufgehört hatte. Die langen Jahre des Krieges hatten ihm genug Zeit gegeben, über die zukünftige Entwicklung des Architektenberufs nachzudenken, und er war zu dem Schluss gekommen, dass es nötig sei, eine Schule zu gründen, die den einzelnen von der stereotypen Vorschrift des Lernens von der Vergangenheit befreien und ihn auf den Weg bringen würde,
wo kreative Lösungen für die zeitgenössischen Probleme zu
finden wären.
Er wollte das Suchen und Finden und nicht das
Wieder-Finden betonen.
Als ich 1923, zur Zeit der ersten großen Ausstellung des Bauhauses, durch meine Eheschließung dorthin kam, war ich nach dem ersten Eindruck, den diese enorm unterschiedliche Gruppe kreativer Menschen auf mich machte, völlig eingeschüchtert.
Von allen meinen früheren Bindungen abgeschnitten, fand ich mich in einer pulsierenden, aufregenden, neuen Welt, die von Fragen und neugefundenen Antworten über-schäumte, wo keiner halbherzig bleiben durfte. Ich war mir nicht sicher, ob ich mich mit einem großen Sprung in den Gesamtgeist hineinstürzen könnte, und so fragte ich meinen zukünftigen Mann, was denn werden solle, wenn er nach einem Jahr von mir enttäuscht sein würde. Schließlich war er vierzig und ich erst sechsundzwanzig und er hatte noch kürzester Bekanntschaft um mich angehalten. Und dann gab er mir die wundervolle, mich auf der Stelle überzeugende Antwort:
»Ich bin gegen Enttäuschung völlig immun, denn ich habe es mir zu eigen gemacht, Menschen oder Situationen nicht danach zu beurteilen, wie sie gegenwärtig sind, sondern nach ihren Entwicklungs-möglichkeiten.«
Diese Haltung inspirierte nicht nur mich, sondern all die jungen Leute, die unter seinen Einfluß gerieten. Und wie sie sich entwickelten! Er machte sich nie Illusionen über das allgemeine Qualifikationsniveau, das Leute zu ihrer Arbeit mitbringen, er wußte aber auch, dass man sie über ihre Begrenzungen hinaus vorantreiben konnte, wenn ihnen eine anregende Atmosphäre, bei der sie kreative Haltungen entwickeln konnten, geboten würde.
Das Bauhaus war ein Kessel voller gegensätzlicher
Ansichten und großer interner Kämpfe zwischen den verschiedenen Überzeu-gungen. Aber das Interessante war, dass Gropius und sein Lehrkörper diese Kämpfe nie erstickten oder die Konflikte dadurch abzukürzen suchten, dass sie der Studentenschaft ihre eigenen Oberzeugungen und Erfahrungen aufdrückten. Es war gegen die Prinzipien der Schule, jungen Leuten abkürzende Wege hin zu Lösungen, die sie nicht selbst gefunden hatten, darzulegen.
Zur Erklärung dieser Hände-weg-Politik muss ich erwähnen, dass zum Beispiel die Beratungen des Lehrkörpers – an denen übrigens immer zwei Studentenvertreter teilnahmen – nie über Mehrheits-entscheide zu Beschlüssen kamen. Immer, wenn unversöhnliche
Standpunkte fortbestanden, unterließ Gropius den Versuch, den Problemen durch Kompromisse die Spitze zu nehmen, sondern er ließ statt dessen die Meinungen in scharfem Kontrast stehen, und über weiterzuführende Experimente und Diskussionen sollte an ihnen weitergearbeitet werden.
Gropius sah in den sich zwischen den verschiedenen Protagonisten entwickelnden Kontrasten immer eine Quelle der Stimulierung, nicht der Störung.
Er akzeptierte diese Unruhe als natürliche Folge seiner Bemühung, die Existenz von Gruppen zu verein-baren, die während des vergangenen Jahrhunderts in gänzlich von einander isolierte Arbeitsgebiete getrieben worden waren und es beim täglichen Aufeinandertreffen ver-ständlicherweise schwer fanden zu kooperieren.
Wenn Ihnen das Bauhaus manchmal als wider-sprüchlich oder paradox erscheint, bezog es doch gewöhnlich aus dieser Tatsache Kraft.
All dies ist wahrscheinlich am besten in einem Brief von Paul Klee an Gropius ausgedrückt worden. Ich zitiere:
»Ich begrüße die Tatsache, dass so verschieden orientierte Kräfte in unserem Bauhaus zusammenarbeiten. Ich billige auch die Konflikte zwischen den Kräften, wenn sich ihre Auswirkungen in den schließ-lichen Leistungen zeigen. Im allgemeinen gibt es kein Richtig oder Falsch; unsere Arbeit lebt und entwickelt sich im Spiel entgegen-gesetzter Kräfte. so wie auch in der Natur das Gute und Böse letzt-endlich produktiv zusammenwirken.«
Zu jener Zeit hatte die Bauhausgemeinschaft bereits eine Arbeits-methodik ausgearbeitet, die es jedem ermöglichte, eine eigene Interpretation der anliegenden Probleme zu geben, die aber auf allgemein akzeptierten wissen-schaftlichen und materiellen Instruktionen durch die verschiedenen Meister basierte. Man war der
Ansicht, Kunst an sich sei nicht lehrbar, es gebe jedoch einen Wissensfundus, der weiterreichbar und danach über experimentelles Arbeiten und Studieren individuell oder in der Gemeinschaft entwicklungsfähig sei.
Eine Frage, die mir oft gestellt
worden ist, betrifft den Umstand, dass Walter Gropius Künstler der Avantgarde, wie Kandinsky, Klee, Feininger und andere beschäftigte, wo die Studenten doch in Wirklichkeit zu Handwerkern ausgebildet werden sollten und
Entwürfe zu liefern hatten, die industriell in Massenfertigung hergestellt werden konnten.
Natürlich wurden sie in den verschiedenen Werkstätten von erstklassigen handwerklichen Lehrmeistern ausgebildet, und kein Student konnte weiterkommen, wenn er nicht in einem der Gewerke unter Aufsicht der Handwerkskammer, die an die handwerklichen Fertigkeiten die höchsten Maßstäbe anlegte, eine strenge Prüfung bestanden hatte. Viele Schulen, die später die Bauhaus-Ausbildung zu imitieren versuchten, ließen das aus, weil sie entweder dachten, das Erlernen eines Handwerks sei altmodisch, oder weil sie erfuhren, dass es schwer ist, auf diesem Gebiet erfahrene Lehrer zu finden. Aber am Bauhaus war diese Ausbildung das Rückgrat des ganzen Lehrplans: sie führte zu Disziplin und zu verlässlichen Kenntnissen über die Eigenschaften der verschiedenen Materialien, und die Studenten erfuhren zum ersten Mal etwas über dreidimensionale Konstruktion. Gropius wusste aber, dass der Handwerker unter dem Einfluß der wachsenden Industrialisierung das Vertrauen in sein Formgebungs-vermögen verloren hatte und ihm nur die Weitergabe von technischen Fertigkeiten und Erfahrungen zugetraut werden konnte.
Das Bauhaus forderte die Studenten andererseits dazu heraus, sich ihrer eigenen Bedürfnisse und ihres eigenen Wunsches nach Form bewusst zu werden, und Gropius meinte deshalb, dass ihr Horizont dadurch erweitert werden müsste, dass sie das Gefühl für die Revolutionierung des Raumes, die in den Künsten und Wissenschaften vor sich gegangen war, vermittelt bekämen. Er brachte sie mit den führenden Exponenten der neuen Haltung zum Raum und zur Form in Berührung, und eben hier, auf diesem Gebiet, finden sich die Namen der Maler, Bildhauer, Grafiker und anderer, zum Beispiel Tänzer, Theaterschauspieler usw. Ihre Lehre und ihr Beispiel erfüllten die ganze Schule mit einem Geist des Wagemuts und der Entdeckungsfreude.
Gropius war der festen Oberzeugung, dass die visionäre Kraft des Künstlers für die Gesamtheit der menschlichen Anliegen und Bestrebungen von primärer Bedeutung sei. Er war überzeugt, dass jede neue Einsicht, die der Mensch über sich selbst oder das Universum gewinnt, zuerst und vor allem die schöpferische Vorstellungskraft des Künstlers entzündet, noch bevor Wissenschaft und Philosophie diese Einsicht gewinnen.
Eine Versammlung von Individuen mit so starker eigener Ausprägung, deren Anliegen die gemeinsame Ausarbeitung eines neuen visuellen Vokabulars war, musste notwendigerweise zu enormen Kontroversen führen.
Zur Arbeitsmethodik
Bei seiner eigenen Arbeit ging
Gropius gewöhnlich bei einem neuen Entwurf von einer beherrschenden, emotional gestützten Leitidee aus, aber er hatte sich früh dazu gebracht, diese Idee sofort durch die erforderlichen ergänzenden Faktoren abzustützen, die ihre Relevanz aus sozialer, technischer und ästhetischer Sicht sicherten. Es war ihm gleichgültig, aus welchem dieser Bereiche die anfängliche Anregung kam, sofern schließlich nur alle ins Spiel gebracht wurden.
Er beschrieb einmal die wünschenswerte Haltung, mit der man einen neuen Entwurf angehen solle, als die »eines Mannes, der seinen Geist von allen Vorurteilen und unwesentlichen Erwägungen hat befreien können und deshalb in einem Zustand neuer Unschuld angelangt ist, der es ihm gestattet, zum Kern seiner Aufgabe vorzudringen«.
Gropius' Natur war für abstraktes, vom praktischen Experiment losgelöstes spekulatives Denken nicht empfänglich, und alles, was noch Dogma roch, stieß ihn ob. Man hat mich gefragt, ob er ein Idealist oder ein Visionär war: ich glaube, man kann ihn so nennen, wenn man darunter das versteht, was der Bildhauer Lippold mit den Worten beschrieb: „Hab eine Illusion, und erhalte sie dann aufrecht!" Diese erhaltende Kraft war es, die ein Klima schuf, in dem höchst unterschiedlich begabte Menschen atmen, arbeiten und zusammenspielen konnten. Was jetzt als Gropius' „Philosophie" bezeichnet wird, hat sich wie ein Sediment aus einem ständigen, aktiven Lebensprozess abgelagert. Indem er sein Leben auf die einzige Art, wie er es konnte. lebte, wurde es zur Demonstration einer Philosophie, keine abstrakte, spekulative Gedankenkonstruktion. Sein Denken wurzelte im Fühlen, und sein Fühlen wurde durch dos Denken modifiziert; schließlich fügte sich aber alles zur Aktion zusammen.
»Lebe, was du predigst«
war sein Motto.
FRAUEN AM BAUHAUS
ISE GROPIUS
ILSE FRANK
(1897-1983)
Ise und Walter Gropius. Courtesy of Historic New England
nach dem tod von walter gropius wahrt sie sein erbe, gropius house wird zum museum des »new england bauhaus«
Außenansicht von Gropius House in Lincoln, MA. Courtesy of Historic New England
lektorin, autorin
geboren in wiesbaden
buchhändlerlehre
1923 heiratet sie walter gropius
1923-1928 im bauhaus kreis
ist sie »frau bauhaus«
1937 emigration
lincoln – ostküste usa
gropius house
»die frau an seiner seite«
»Pius & Pia«. Courtesy of
Außenansicht von Gropius House in Lincoln, MA. Courtesy of Historic New England
Die von ihm vor dem ersten Weltkrieg geschaffenen Gebäude, die »Fagus« Schuhleisten-Fabrik aus dem Jahre 1911, die Musterfabrik und das Bürogebäude für die Werkbund-Ausstellung in Köln aus dem Jahre 1914, verkörperten deutlich, was er später am Bauhaus lehren sollte: völlige Unabhängigkeit von der zu jener Zeit herrschenden schweren, massigen Gestaltungsweise; eine Bauausführung, die nicht hinter einer konventionellen Stilhülle verborgen wurde, sondern die neuen Materialien, wie Glas, Stahl und Beton, sichtbar bleiben ließ und sie zu den dominierenden Gestaltungsmerkmalen machte. Kurz, er machte den Versuch, sich dem 20. Jahrhundert direkt und ohne Ausflüchte zu stellen.