bauhausbuch 11
kasimir malewitsch
die gegenstandslose welt
schriftleitung
walter gropius
l. moholy-nagy
1927
Das schwarze Quadrat auf dem weißen Feld war die erste Ausdrucksform der gegenstandslosen Empfindung: das Quadrat = die Empfindung, das weiße Feld = »das Nichts« außerhalb dieser Empfindung. Doch die Allgemeinheit (die Gesellschaft) sah in der Gegenstandslosigkeit der Darstellung das Ende der Kunst und erkannte nicht die unmittelbare Tatsächlichkeit des Gestaltwerdens der Empfindung.
Das Quadrat des Suprematisten und die aus diesem Quadrat entstehenden Formen sind den primitiven Strichen (Zeichen) des Urmenschen zu vergleichen, die in ihrer Zusammenstellung kein Ornament, sondern die Empfindung des Rhythmus darstellten. Durch den Suprematismus tritt nicht eine neue Welt der Empfindungen ins Leben, sondern eine neue unmittelbare Darstellung der Empfindungswelt überhaupt. Das Quadrat verändert sich und bildet neue Formen, deren Elemente nach Maßgabe der veranlassenden Empfindung auf diese oder jene Weise geordnet werden.
Ist denn die Milchflasche das Sinnbild der Milch?
Der Suprematismus ist die wiedergefundene reine Kunst, die im Laufe der Zeit durch die Anhäufung der »Dinge« nicht mehr zu sehen war. Mir scheint, dass die Malerei Raffaels, Rubens, Rembrandts usw. für die Kritik und die Gesellschaft nichts als eine Konkretion von unzähligen »Dingen« geworden ist, die den eigentlichen Wert – die veranlassende Empfindung – unsichtbar macht. Bewundert wird ausschließlich die Virtuosität der gegenständlichen Darstellung. Wenn es möglich wäre, die zum Ausdruck gebrachte Empfindung – also den tatsächlichen künstlerischen Wert – aus den Werken der großen Meister herauszuheben und zu verstecken, so würde die Gesellschaft mitsamt der Kritik und den Kunstgelehrten dessen gar nicht gewahr werden.
Es ist also durchaus kein Wunder, dass mein Quadrat der Gesellschaft inhaltslos erschien.
VORWORT
Wir freuen uns, das vorliegende Werk des bedeutenden russischen Malers Malewitsch in der Reihe der Bauhausbücher veröffentlichen zu können, obwohl es in grundsätzlichen Fragen von unserem Standpunkt abweicht. Es beleuchtet jedoch die moderne russische Malerei, die Kunst- und Lebensauffassung ihrer Träger von einer neuen, uns bisher unbekannten Seite.
Dessau, November 1927
Die Schriftleitung
Walter Gropius L. Moholy-Nagy
Inhalt
I. TEIL
Einführung in die Theorie des additionalen Elementes der Malerei
II. TEIL
Suprematismus
(dieser Teil wurde für das Buch geschrieben und illustriert)
Jedoch dem Menschen ist das Bewusstsein stets das Entscheidende, (– der Wert des Daseins –). Die Leiche ist leblose Materie. Darin liegt ein Widerspruch, denn die Materie kann nie zur Leiche werden; sie wird nicht geboren und kann nicht sterben, sie verändert ihre Konsistenz ohne zu leiden, denn sie besitzt keine W e r t e. Der Mensch aber besitzt Werte, die selbst durch den Tod nicht vernichtet werden; er wird von seinen Mitmenschen »bewertet« und zwar nach Maßgabe des in seinem Leben zur Realisation gelangten Bewusstseins. Der Wert des Menschen liegt keineswegs in dem materiellen Körper, sondern in dem Bewusstsein, dessen Wesen und Gehalt in dieser oder jener Form als bleibende Werte zu realisieren sind.
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Die inspirierende Umgebung, »Realität« des Futuristen
Das grundlegende Suprematistische Element. Die erste aus dem Quadrat entstandene Form. 1913
Das zweite Suprematistische grundlegende Element. 1913
Die Bewegung des suprematistischen Quadrats, die ein neues zweiflächiges Suprematistisches Element entstehen lässt. 1913
Kontrastierende Suprematistische Elemente, 1913
Komposition Suprematistischer Elemente (Empfindung des Fluges) 1913
Suprematistische Komposition unter Benutzung der Form des Dreiecks, 1913
Suprematistische Komposition (Empfindung magnetischer Anziehung) 1914
Suprematistische Komposition (Empfindung der Bewegung und des Widerstandes) 1916
Suprematistische Komposition (kombinierte Empfindung: Kreis und Quadrat) 1913
Das grundlegende Suprematistische Element. Das Quadrat. 1913
Im Jahr 1927 durfte der Maler Kasimir Malewitsch (1878–1935) aus Russland ausreisen, da seine Werke in Europa ausgestellt wurden, u.a. in Berlin. Hier traf er auf Jean Arp, Kurt Schwitters und auf Moholy-Nagy, eine Einladung ans Bauhaus folgte. Bei diesem Besuch entstand wohl die Idee, in einem Bauhausbuch die Schriften von Malewitsch zu publizieren.
Titelgestaltung Moholy-Nagy
BAUHAUSBUCH 11
MALEWITSCH
DIE GEGENSTANDLOSE WELT
schriftleitung
walter gropius
l. moholy-nagy
1927
Ist denn die Milchflasche das Sinnbild der Milch?
Der Suprematismus ist die wiedergefundene reine Kunst, die im Laufe der Zeit durch die Anhäufung der »Dinge« nicht mehr zu sehen war. Mir scheint, dass die Malerei Raffaels, Rubens, Rembrandts usw. für die Kritik und die Gesellschaft nichts als eine Konkretion von unzähligen »Dingen« geworden ist, die den eigentlichen Wert – die veranlassende Empfindung – unsichtbar macht. Bewundert wird ausschließlich die Virtuosität der gegenständlichen Darstellung. Wenn es möglich wäre, die zum Ausdruck gebrachte Empfindung – also den tatsächlichen künstlerischen Wert – aus den Werken der großen Meister herauszuheben und zu verstecken, so würde die Gesellschaft mitsamt der Kritik und den Kunstgelehrten dessen gar nicht gewahr werden.
Es ist also durchaus kein Wunder, dass mein Quadrat der Gesellschaft inhaltslos erschien.
Das schwarze Quadrat auf dem weißen Feld war die erste Ausdrucksform der gegenstandslosen Empfindung: das Quadrat = die Empfindung, das weiße Feld = »das Nichts« außerhalb dieser Empfindung. Doch die Allgemeinheit (die Gesellschaft) sah in der Gegenstandslosigkeit der Darstellung das Ende der Kunst und erkannte nicht die unmittelbare Tatsächlichkeit des Gestaltwerdens der Empfindung.
Das Quadrat des Suprematisten und die aus diesem Quadrat entstehenden Formen sind den primitiven Strichen (Zeichen) des Urmenschen zu vergleichen, die in ihrer Zusammenstellung kein Ornament, sondern die Empfindung des Rhythmus darstellten. Durch den Suprematismus tritt nicht eine neue Welt der Empfindungen ins Leben, sondern eine neue unmittelbare Darstellung der Empfindungswelt überhaupt. Das Quadrat verändert sich und bildet neue Formen, deren Elemente nach Maßgabe der veranlassenden Empfindung auf diese oder jene Weise geordnet werden.
Jedoch dem Menschen ist das Bewusstsein stets das Entscheidende, (– der Wert des Daseins –). Die Leiche ist leblose Materie. Darin liegt ein Widerspruch, denn die Materie kann nie zur Leiche werden; sie wird nicht geboren und kann nicht sterben, sie verändert ihre Konsistenz ohne zu leiden, denn sie besitzt keine W e r t e. Der Mensch aber besitzt Werte, die selbst durch den Tod nicht vernichtet werden; er wird von seinen Mitmenschen "bewertet" und zwar nach Maßgabe des in seinem Leben zur Realisation gelangten Bewusstseins. Der Wert des Menschen liegt keineswegs in dem materiellen Körper, sondern in dem Bewusstsein, dessen Wesen und Gehalt in dieser oder jener Form als bleibende Werte zu realisieren sind.
SUPREMATISMUS
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