bauhaus zeitschrift für gestaltung 2-3
doppelnummer
1. juli 1928
herausgeber:
hannes meyer
schriftleitung:
ernst kállai
Quelle monoskop.org
inhalt
das bauhaus lebt! von ernst kállai
werklicher formunterricht von josef albers
kunstpädagogik von wassily kandinsky
die bundesschule des ADGB in bernau von adolf behne
erläuterungen zum schulprojekt von hannes meyer
M-kunst von mart stam
exakte versuche im bereich der kunst von paul klee
schrift? von joost schmidt
plastik ... und das am bauhaus !?1? von joost schmidt
unterrichtsgebiete von oskar schlemmer
interview mit bauhäuslern
ein bild, ein mensch von ernst kállai
junge bauhausmaler von ludwig grote-dessau
Es ist das erste Heft unter neuer Regie, nachdem Gropius, Moholy-Nagy, Bayer und Breuer das Bauhaus verlassen haben und deshalb ein wichtiges Organ zur Standortbestimmung und Ausrichtung von Meyer als neuem Direktor.
Hervorzuheben sind die Antworten und Stellungnahmen der »bauhäusler« im Kapitel Interview. Zu jener Zeit sind 166 Studierende am Bauhaus aktiv.
wera meyer-waldeck
22 jahre, 3. semester, tischlerei. vorher auf einer kunstgewerbeschule grafik; früher auch auf sozialem gebiet tätig.
ich war durch erziehung, schule und akademieluft geistig und psychisch so verkalkt, daß ich eines sehr lebendigen organismus bedurfte, um mich von dieser steifheit zu befreien.
deshalb kam ich an das bauhaus. hier fand ich lebendige und gesunde menschen und viel aktivität und vitalität. allerdings habe ich auch einsehen gelernt, daß es auf aktivität allein nicht ankommt, sondern es sich darum handelt, wie und wo sie sich auswirkt. wenn ich kritisieren sollte, würde ich sagen,
die bauhäusler reden zu viel und tun zu wenig, sie kritisieren zu viel und machen selber nichts besser.
für mich ist nicht wertvoll, was gelehrt wird, sondern wie gelehrt wird. dass man erst selbständig denkende und handelnde menschen heranbildet und erzieht, bevor man ihnen das nötige wissen übermittelt. das positivste ist für mich die pädagogische arbeit, die hier geleistet wird, die sich zwar in keinem stundenplan einzeichnen läßt, die aber einen der wesentlichsten faktoren des bauhaus-gedan kens bedeutet.
eine pädagogische arbeit, wie sie beispielsweise im vorkurs geleistet wird, ist kaum noch einer steigerung fähig.
und wenn es am bauhaus nichts weiter gäbe als diesen vorkurs, so würde das menschlich und künstlerisch soviel bedeuten, daß es sich schon allein darum lohnte, herzukommen. das heutige leben zu bejahen, sich für alles zu interessieren, alles verstehen zu lernen, ohne dabei kritiklos zu werden, das ist meine weltanschauung. die habe ich aber schon gehabt, bevor ich ans bauhaus kam, nur hat sie sich gefestigt, weil ich sie hier bestätigt gefunden habe.
darum wünschte ich auch, daß die basis des bauhauses eine noch viel breitere wäre.
die allgemeinen interessen beschränken sich auf ein viel zu kleines gebiet. für mich sind literatur, tanz, musik genau so interessant wie form, farbe, mathematik oder irgendwelche statischen fragen. wo so wenig anregung von außen kommt wie hier in dessau, müßte im innern eine viel größere vielgestaltigkeit vorhanden sein, um der gefahr des einseitigwerdens zu entgehen.
in der bildenden kunst fragt auch niemand, ob es nur noch abstrakte malerei geben wird. gegenständliche und gegenstandslose malerei werden immer parallel laufen und ich freue mich sehr, dass beide da sind.
die technik ist dazu da, das leben angenehm zu machen, aber die kunst macht es erst wertvoll und lebenswert.
auf die letzte frage, was ich tun werde, wenn ich das bauhaus verlasse, kann ich nur antworten, daß ich da selber sehr neugierig bin und es gern auch wissen möchte.
Frühstückspause, Foto Lotte Burckhardt (v.l.n.r.) Gustav Hassenpflug, unbekannt, August Agatz, Wera Meyer (-Waldeck), unbekannt, Hermann Bunzel, Albert Buske
Sonne am Mittag, Foto Lotte Burckhardt
Metallwerkstatt, Foto W. Zimmermann
Schleiferei, Foto W. Zimmermann
lotte burckhardt
23 jahre, 3. semester, tischlerei. vorher in münchen in einer schneiderwerkstatt, arbeitet dann in dachau in der handweberei des volkskunsthauses münchen; darauf ein jahr bürodienst, des weiteren ein jahr frauenschule bremen, um später in die soziale arbeit zu gehen (kindergärtnerin, hortnerin oder dergl.)
nach allem, was ich vom bauhaus las, sah und hörte, mußte ich annehmen, dass hier zum mindesten in jeder beziehung möglichst vielseitig gelehrt und konsequent gearbeitet wird (behandlung des baues ausgehend von den wohnbedürfnissen in anbetracht der wohnungsnot und der sozialen verhältnisse überhaupt). es freute mich sehr, als mir erzählt wurde, hier sei eine fabelhafte zusammenarbeit der studierenden unter sich und auch mit den meistern, ganz im gegensatz zu den üblichen hochschulen und akademien. auch die pädagogik (vorkurs - albers - kandinsky), wie man sie mir beschrieb, gefiel mir sehr gut.
mein erster eindruck war gut, doch kam ich sehr bald dahinter, dass nicht alles so ideal ist, wie es in meiner vorstellung lebte. von gemeinschaft und kooperation wird so viel geredet, und vor lauter reden vergisst man, dass etwas getan werden muss. überhaupt wird im ganzen nicht intensiv genug gearbeitet.
die bloße arbeit genügt übrigens gar nicht. wir kommen am bauhaus nicht um die politik herum.
ich glaube sogar, es ist sehr wichtig, daß sich jeder einzelne mit diesen fragen auseinandersetzt und politisch aktiv ist. wir können natürlich keine häuser bauen für verhältnisse, die gar nicht da sind, aber von selber werden auch keine vernünftigen sozialen verhältnisse kommen. die arbeit und die lebensgestaltung müssen hand in hand gehen.
otti berger antwortet
1.
fragen sie bitte das sekretariat.
2.
an einer geistlosen stätte der überlieferung.
3.
um mich zu überwinden und das ich zu finden.
4./5.
ich bin nicht fähig, eine enttäuschung zu erleben.
6.
ich habe das »ich« gefunden und nun lasse ich es laufen lernen.
7.
»bewährte methoden«? es gibt nichts, das mit irgendwelchen methoden ohne inneres erlebnis gepredigt werden könnte. ,,ohne anschluß an die großen werke unserer vorfahren"? ja, die sind selbst ohne anschluss an die ihrigen ausgekommen.
8.
kunst im herkömmlichen und gestaltung im neuen sinne, das gibt es nicht. denn das »herkömmliche« ist nie kunst. jede zeit hat ihren ausdruck in einer neuen gestaltung gefunden (nicht gerade auf dem gebiet der bildenden kunst). man muß nicht unbedingt bilder malen, um ein künstler zu sein. aber man muß erfüllt sein von allem noch ungesagten und muß das unsagbare auf irgendeine weise los werden um ein künstler zu werden, muß man ein künstler sein, und um es zu werden, wenn man es schon ist, dazu kommt man an das bau haus; und aus diesem »künstler« wieder einen menschen zu machen: das ist die aufgabe des bauhauses.
9.
das praktisch-nutzbare ist nicht zu trennen von einer rein geistigen gestaltung. die rein geistige gestaltung äußert sich bewußt und unbewußt im praktischen.
10.
heiraten (nicht als ob)! aber ich zweifle nicht daran, daß ich noch dummheiten machen, d. h. kompromisse schließen werde, die sich für einen bauhäusler nicht ziemen, dann ist man aber auch kein »richtiger« bauhäusler mehr.
1.
wie alt sind sie, in welchem semester stehen sie, in welcher werkstatt arbeiten sie?
2.
wo haben sie vorher studiert oder gearbeitet?
3.
weshalb sind sie an das bauhaus gekommen?
4.
was war ihr eindruck hier zunächst? waren sie enttäuscht oder wurden ihre erwartungen bestätigt?
5.
wenn sie enttäuscht waren, worin lag der grund hierfür?
6.
worin haben sie später das wertvolle am bauhaus gesehen?
7.
von gegnern des bauhauses wird behauptet, daß „die ausbildung am bauhaus auf eine fortentwicklung im anschluss an die großen werke unserer vorfahren verzichtet und bewährte methoden verachtet". inwieweit scheint die kritik richtig oder falsch zu sein?
8.
worin sehen sie den gegensatz zwischen »kunst« im herkömmlichen und »gestaltung« im neuen sinn?
9.
sehen sie den sinn der neuen gestaltung nur im praktisch-nutzbaren?
wenn ja, warum? wenn nein, warum halten sie auch heute noch eine rein geistige gestaltung für möglich oder notwendig? worin sehen sie den wert der technik? worin den wert der kunst?
10.
was gedenken sie zu tun, wenn sie das bauhaus verlassen?
interview mit bauhäuslern
um in der bauhaus-zeitschrift auch die bauhäusler sprechen zu lassen, hat die redaktion den studierenden einen fragebogen vorgelegt, den wir im folgenden zum abdruck bringen.
wir veröffentlichen die antworten, ohne zu den einzelnen anschauungen für oder wider stellung zu nehmen. die bauhaus-jugend soll für sich selbst einstehen. ihr geistiges bild ist widerspruchsvoll, doch sind widersprüche nicht nur ein vorrecht, sondern eine pflicht lebendiger jugend. […]
1.
wie alt sind sie, in welchem semester stehen sie, in welcher werkstatt arbeiten sie?
2.
wo haben sie vorher studiert oder gearbeitet?
3.
weshalb sind sie an das bauhaus gekommen?
4.
was war ihr eindruck hier zunächst? waren sie enttäuscht oder wurden ihre erwartungen bestätigt?
5.
wenn sie enttäuscht waren, worin lag der grund hierfür?
6.
worin haben sie später das wertvolle am bauhaus gesehen?
7.
von gegnern des bauhauses wird behauptet, dass „die ausbildung am bauhaus auf eine fortentwicklung im anschluss an die großen werke unserer vorfahren verzichtet und bewährte methoden verachtet". inwieweit scheint ihnen diese kritik richtig oder falsch zu sein?
8.
worin sehen sie den gegensatz zwischen "kunst" im herkömmlichen und "gestaltung" im neuen sinn?
9.
sehen sie den sinn der neuen gestaltung nur im praktisch-nutzbaren?
wenn ja, warum? wenn nein, warum halten sie eine rein geistige gestaltung für möglich oder notwendig? worin sehen sie den wert der technik? den wert der kunst?
10.
was gedenken sie zu tun, wenn sie das bauhaus verlassen?
inhalt
das bauhaus lebt!
von ernst kállai
werklicher formunterricht
von josef albers
kunstpädagogik
von wassily kandinsky
die bundesschule des ADGB
von adolf behne
erläuterungen zum schul-projekt von hannes meyer
M-kunst
von mart stam
exakte versuche im bereich der kunst von paul klee
schrift?
von joost schmidt
plastik, und das am bauhaus !? von j. schmidt
unterrichtsgebiete
von oskar schlemmer
interview mit bauhäuslern
ein bild, ein mensch
von ernst kállai
junge bauhausmaler
von ludwig grote-dessau
interview mit bauhäuslern
um in der bauhaus-zeitschrift auch die bauhäusler sprechen zu lassen, hat die redaktion den studierenden einen fragebogen vorgelegt, den wir im folgenden zum abdruck bringen.
wir veröffentlichen die antworten, ohne zu den einzelnen anschauungen für oder wider stellung zu nehmen. die bauhausjugend soll für sich selbst einstehen. ihr geistiges bild ist widerspruchs-voll, doch sind widersprüche nicht nur ein vorrecht, sondern eine pflicht lebendiger jugend. […]
wera meyer-waldeck: teetisch. lehrlingsarbeit aus holz, woodmetall und glas. foto binnemann, dessau
aus: bauhauszeitschrift 4.1928
bauhaus zeitschrift für gestaltung 2-3
doppelnummer
1. juli 1928
herausgeber: hannes meyer
schriftleitung: ernst kállai
40 seiten
lotte burckhardt
23 jahre, 3. semester, tischlerei.
vorher in münchen in einer schneiderwerkstatt, arbeitet dann in dachau in der handweberei des volkskunsthauses münchen; darauf ein jahr bürodienst, des weiteren ein jahr frauenschule bremen, um später in die soziale arbeit zu gehen (kindergärtnerin, hortnerin oder dergl.)
nach allem, was ich vom bauhaus las, sah und hörte, mußte ich annehmen, dass hier zum mindesten in jeder beziehung möglichst vielseitig gelehrt und konsequent gearbeitet wird (behandlung des baues ausgehend von den wohnbedürfnissen in anbetracht der wohnungsnot und der sozialen verhältnisse überhaupt). es freute mich sehr, als mir erzählt wurde, hier sei eine fabelhafte zusammenarbeit der studierenden unter sich und auch mit den meistern, ganz im gegensatz zu den üblichen hochschulen und akademien. auch die pädagogik (vorkurs - albers - kandinsky), wie man sie mir beschrieb, gefiel mir sehr gut.
mein erster eindruck war gut, doch kam ich sehr bald dahinter, dass nicht alles so ideal ist, wie es in meiner vorstellung lebte. von gemeinschaft und kooperation wird so viel geredet, und vor lauter reden vergisst man, dass etwas getan werden muss. überhaupt wird im ganzen nicht intensiv genug gearbeitet.
die bloße arbeit genügt übrigens gar nicht. wir kommen am bauhaus nicht um die politik herum.
ich glaube sogar, es ist sehr wichtig, daß sich jeder einzelne mit diesen fragen auseinandersetzt und politisch aktiv ist. wir können natürlich keine häuser bauen für verhältnisse, die gar nicht da sind, aber von selber werden auch keine vernünftigen sozialen verhältnisse kommen. die arbeit und die lebensgestaltung müssen hand in hand gehen.
wera meyer-waldeck
22 jahre, 3. semester, tischlerei. vorher auf einer kunstgewerbeschule; früher auch auf sozialem gebiet tätig.
ich war durch erziehung, schule und akademieluft geistig und psychisch so verkalkt, daß ich eines sehr lebendigen organismus bedurfte, um mich von dieser steifheit zu befreien.
deshalb kam ich an das bauhaus. hier fand ich lebendige und gesunde menschen und viel aktivität und vitalität. allerdings habe ich auch einsehen gelernt, daß es auf aktivität allein nicht ankommt, sondern es sich darum handelt, wie und wo sie sich auswirkt. wenn ich kritisieren sollte, würde ich sagen,
die bauhäusler reden zu viel und tun zu wenig, sie kritisieren zu viel und machen selber nichts besser.
für mich ist nicht wertvoll, was gelehrt wird, sondern wie gelehrt wird. dass man erst selbständig denkende und handelnde menschen heranbildet und erzieht, bevor man ihnen das nötige wissen übermittelt. das positivste ist für mich die pädagogische arbeit, die hier geleistet wird, die sich zwar in keinem stundenplan einzeichnen läßt, die aber einen der wesentlichsten faktoren des bauhaus-gedan kens bedeutet.
eine pädagogische arbeit, wie sie beispielsweise im vorkurs geleistet wird, ist kaum noch einer steigerung fähig.
und wenn es am bauhaus nichts weiter gäbe als diesen vorkurs, so würde das menschlich und künstlerisch soviel bedeuten, daß es sich schon allein darum lohnte, herzukommen. das heutige leben zu bejahen, sich für alles zu interessieren, alles verstehen zu lernen, ohne dabei kritiklos zu werden, das ist meine weltanschauung. die habe ich aber schon gehabt, bevor ich ans bauhaus kam, nur hat sie sich gefestigt, weil ich sie hier bestätigt gefunden habe.
darum wünschte ich auch, daß die basis des bauhauses eine noch viel breitere wäre.
die allgemeinen interessen beschränken sich auf ein viel zu kleines gebiet. für mich sind literatur, tanz, musik genau so interessant wie form, farbe, mathematik oder irgendwelche statischen fragen. wo so wenig anregung von außen kommt wie hier in dessau, müßte im innern eine viel größere vielgestaltigkeit vorhanden sein, um der gefahr des einseitigwerdens zu entgehen.
in der bildenden kunst fragt auch niemand, ob es nur noch abstrakte malerei geben wird. gegenständliche und gegenstandslose malerei werden immer parallel laufen und ich freue mich sehr, dass beide da sind.
die technik ist dazu da, das leben angenehm zu machen, aber die kunst macht es erst wertvoll und lebenswert.
auf die letzte frage, was ich tun werde, wenn ich das bauhaus verlasse, kann ich nur antworten, daß ich da selber sehr neugierig bin und es gern auch wissen möchte.
Otti Berger (1898–1944) mit Kopfschmuck. Ausschnitt einer Aufnahme während einer Feier, 1930. Wikipedia
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Vorkurs, Foto Lotte Burckhardt